Mein Krampf

Münster Marathon 2015. Mein 5.  in der Westfalenmetropole. Auch als halbwegs erfahrener Marathoni lässt man sich von den Wettkampfemotionen tragen und mitunter das Tempo von der unbändigen Lauflust bestimmen. Dann sollte jedoch nach ein paar Kilometern und spätestens den ersten Schweißtropfen wieder der Verstand online gehen und man sich darauf besinnen, was man trainiert und sich zum Ziel gesetzt hat. Naja, mir ist das am Sonntag nicht so richtig gelungen. Es flutschte so schön und jeder KM war viele Sekunden schneller als geplant. Könnte das ein Forrest Gump Tag werden? Bis zur Halbmarathonmarke in Nienberge war ich noch zuversichtlich.

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KM 21,1 – Run happy

Ab KM 25 sendete die Wadenmuskulatur erste Morsezeichen an den Verstand, der auch sogleich aufmerksam wurde. Doch da war schon nix mehr zu reparieren, die Waden bereits beleidigt. Salztablette, 4 Becher Cola, 6 Becher Wasser über Kopf und Beine. Bei KM 30 lag ich noch im Soll, doch das mit allen Emotionen erarbeitete Zeitguthaben war dahingeschmolzen. Halber Energieriegel, 4 angealterte Bananenstücke, nochmals 4 Becher Cola, lecker, doch irgendwie kommt diese geballte Energiezufuhr nicht hinunter bis in die Sohlen. Bei KM 37 dehnt Francisco Basile seine Laufinstrumente. ‚Vamos a la Prinzipalmarkt Francisco‘ rufe ich ihm zu und wir krabbeln gemeinsam einen halben Kilometer. Francisco kommt aus Alicante und wollte seinen fünften Marathon in tres horas und treinta minutos laufen. Zuviel arriba auf der ersten Hälfte. Siiiiii, kommt mir bekannt vor. Kurz vor KM 39 erblicke ich Margot und nehme einen Schluck von ihrem alk-freien Bier. Einen Schnaps hätte ich auch reingekippt. Die Fans an der Ecke Waldeyerstraße spornen mich nach Aufforderung an. Ich schiebe weiter. Die Waden verschließen sich mehr und mehr, es wird krampfig. 2 KM schleiche ich an der Seite von Gisela aus Osnabrück, sie ist auch am Anschlag, hat Verspannungen in Armen und Beinen, langsamer Laufschritt. Etwa in Höhe der Bühne Aegidiitor wünsche ich ihr alles Gute und bin meiner rechten Wade hörig. Stehversuch, verdammt, noch etwa 800 Meter bis zum Finish und ein erster lähmender Krampf. Das muss doch noch irgendwie gehen. Der Moderator hüpft herüber, fragt wo’s weh tut und steckt mir sein Mikro in den Hals. „Überall“, die Leute sind begeistert, ich schluffe weiter. Allein für diesen letzten Kilometer werden 8 Minuten zu Buche stehen. Was soll’s, dann kann ich das Bad in der Menge auch genießen. Die treuen Ronouchi-Fans und mein Schatz brüllen und gestikulieren am Ende der Aegidiistraße und rechts und links in der Rothenburg, da kommen die Emotionen wieder und ich halte überall an und nehme noch die Ronouchi Fahne mit.

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Der letzte Krampf dann zehn Meter vor der Ziellinie, genau zwischen den jungen, hübschen Cheerleaderinnen, so ein Zufall. Ich fühle mich ins Ziel getragen.

Danach geht erst einmal gar nix mehr. Die Waden sind völlig zu, meine Füße unnatürlich verbogen. Verwundert schaue ich auf meine bewährten Laufschuhe, gefühlt müssen sich die Sohlen abgelöst und wie der Deckel einer geöffneten Heringsdose aufgerollt haben. Nein, alles gut. Es ist geschafft. Die Freude ist viel größer als der Beton in den Waden hart sein kann. Und es war ein schöner Marathon, der sich exakt in zwei Hälften teilen lässt, emotional-sportlich und emotional-genussreich-krampfig. In der Nachbetrachtung komme ich zu der einzig möglichen Erklärung für die körperlichen Einschränkungen: mir fehlten unmittelbar vor dem Marathon einfach die 3,8 KM Schwimmen und 180 KM auf dem Rad. Ja, das war es wohl …

Jetzt ist erstmal Pause und ich bade jede Wade ohne Gnade in Franzerls Branntwein. Bleibt sportlich.

Rono